Speclog

26.08.21

Design als Kritik

In dem 2013 erschienen Buch »Speculative everything: Design, fiction and social dreaming« beschäftigen sich Anthony Dunne und Fiona Raby unter anderem mit Design als Kritik. Zentrale Fragen dabei: Wie lässt sich Design als Werkzeug benutzen, um auf Probleme und Situationen unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen und die Einstellungen und Werte dieser verändern zu können. Welchen Nutzen kann Design außerhalb vom »Mainstream-Design« haben? +
Ausgehend vom Begriff »Critical Design«, den Dunne und Raby mitte der 90er Jahre am Londoner Royal College of Art prägten, geht es dabei insbesondere um den Einfluss der Technologie auf den Menschen und die damit verbundene Sorge um fehlende Reflexion bzw. Kritik. +
Ihre damalige Definition lautet: »critical design uses speculative design proposals to challenge narrow assumptions, preconceptions, and givens about the role products play in everyday life«. Heute bezeichnen sie diese Definition eher als eine Position/Haltung als eine Methode. Über die Jahre wurde der Begriff von vielen DesignerInnen immer wieder neu interpretiert, was dazu führte, dass sich seine Bedeutung auch für Dunne und Raby gewandelt hat und sie den Begriff aktualisiert betrachten möchten. +
Oft wird Critical Design als reine Kritik gesehen. Doch will es viel mehr zum kritischen Denken und Hinterfragen anregen. Es stellt den Ist-Zustand und beispielsweise das bedingungslose Vertrauen in Technologie infrage und versucht durch Kritik am Gegebenen andere Realitäten zu schaffen. Dunne und Raby zweifeln daran, dass technologischer Fortschritt immer nur eine Verbesserung und eine Lösung aller Probleme ist. Dem Critical Design stellen sie das »positive« Design gegenüber, welches sie später auch »Mainstreamdesign« nennen (Design das dazu dient, ästhetische Lösungen für Probleme zu finden). Auch ist die Einbeziehung der BetrachterInnen im Critical Design ein spannender Versuch, Menschen dazu zu bewegen, nicht alles im Leben als gegeben hinzunehmen und sie so zu anspruchsvolleren, reflektierteren VerbraucherInnen zu machen. »It is about thinking through design rather than through words and using the language and structure of design to engage people.«. +
Sie nutzen Alltagsgegenstände, zu denen wir eine gewisse Erwartungshaltung haben und ändern zum Beispiel ihre Funktion. Die neue Funktion weicht von unseren Erwartungen bzw. der Erwartung der Zeit ab und bringt uns somit in einen Konflikt. Durch Design wird man mit anderen Realitäten und Bedürfnissen konfrontiert und gezwungen Gegebenes zu hinterfragen. Denn die Realität in der wir uns befinden ist nicht festgesetzt, sondern wandelbar. Wertvorstellungen und Bedürfnisse können sich ändern. Somit sehen sich Dunne und Raby nicht als ausschließlich kritisch, sondern eher als positiv und idealistisch, indem sie daran glauben, dass Wandel und ein Umdenken möglich ist. +
Doch ist ihnen auch bewusst, dass man als DesignerIn allein nicht in der Lage ist, einen kompletten Wandel des kapitalistischen Systems zu schaffen. Viel mehr sprechen Dunne und Raby den einzelnen Menschen bzw. VerbraucherInnen an, sich ihrer Macht Systeme zu verändern, gewahr zu werden. Geht man vom Prinzip aus, dass eine durch Werbung manipulierte Nachfrage den Markt regelt, so könnte auch hier ein Ziel darin bestehen, den VerbraucherInnen ein verantwortungsvolles, anspruchsvolles und kritisches Bewusstsein zu ermöglichen und dafür kritisches Design als Werkzeug zu nutzen. +
Ein Problem sehen Dunne und Raby darin, dass DesignerInnen von je her eingebrannt wird, Dinge bzw. Probleme ausschließlich zu verschönern bzw. zu verbessern. Im Design ist im Gegensatz zur Kunst kein Raum für Abgründe. Es wird also davon ausgegangen, dass Menschen nach einem bestimmten Raster agieren und nur selten von diesem abweichen und somit vorhersehbar sind. Dunne und Raby denken jedoch, dass wir auch ein »Dark Design« brauchen. Es geht ihnen hierbei vor allem um: »the positive use of negativity, not negativity for its own sake but to draw attention to a scary possibility in the form of a cautionary tale.« +
Als Beispiel wird das »Belief Systems« von Bernd Hopfengaertners von 2009 genannt. Verschiedene Maschinen, die versuchen das Handeln von Menschen anhand von Mimik und Gewohnheit vorauszusagen und somit zum Beispiel ihr Kaufverhalten zu beeinflussen. Als Folge zeigen die Menschen weniger »Menschlichkeit« und werden den Maschinen somit ähnlicher. 2021 sind Teile dieses Projektes wahrscheinlich nicht mehr utopisch, sondern Realität. +
Viele Projekte aus dem Critical Design wirken auf den ersten Blick belustigend. Doch zu viel Humor sehen Dunne und Raby kritisch. Es droht, dass sich BetrachterInnen hinter der Humor Ebene verstecken und sich somit nicht tief genug mit dem eigentlichen Problem beschäftigen. Das Ziel ist auf den Punkt gebrachte Satire im Design. BetrachterInnen sollen selber entscheiden, ob sie es glauben sollen oder nicht. Hier wird wieder der Punkt des »zum Denken anregen« aufgegriffen. Es soll kein vorgekauter Brei serviert werden. +
Diesen Punkt erkennt man deutlich im Projekt »Huggable Atomic Mushrooms« (Dunne & Raby in Zusammenarbeit mit Michael Anastassiades), welches sich mit der Angst von PatientInnen vor nuklearen Vernichtungen und der Konfrontation mit dieser Angst beschäftigt. Die Arbeit besteht aus drei unterschiedlich großen, aufwendig und detailgetreu produzierten Atompilzen, die realen Atomtests nachempfunden sind. Der Unterschied und Bruch im Perfekten ist, dass sie aus weichem Material bestehen und somit leicht in sich zusammen sinken und eher erbärmlich aussehen als angsteinflößend. Dies soll bei den BetrachterInnen einen gedanklichen Widerspruch auslösen und sie an der Gefährlichkeit zweifeln lassen. +
Dark Design könnte somit als ein Katalysator bzw. eine Gegenthese verstanden werden, um Perspektiv- und Verständnis-Verschiebungen auszulösen und somit Freiräume für noch nicht durchdachte Möglichkeiten zu eröffnen. +
Besonders effektiv mag dies gelingen, wenn man Menschen mit Dingen aus deren Alltag konfrontiert. Auch wenn sich Critical Design vielen Methoden der Kunst bedient, bleibt es Dunne & Raby zufolge trotzdem noch Design. Denn mit der Kunst ist es ähnlich wie mit dem Humor: Die Erwartung an Kunst mag darin bestehen, verrückt und unrealistisch zu sein, über die Stränge zu schlagen und Grenzen zu durchschreiten. Vieles lässt sich leicht als Kunst abstempeln, und verweigert sich somit der dezidierten Auseinandersetzung mit der eigentlichen Problematik. Im Gegensatz dazu möchte Critical Design eine fundierte Auseinandersetzung mit der Problemstellung anregen. +
Klar bleibt, dass nicht alle DesignerInnen ausschließlich Critical Design anwenden können. Doch könnten alle DesignerInnen einen kleinen Anteil ihrer Arbeit darauf verwenden, nicht nur rein ästhetische oder funktionale Lösungen zu finden, sondern Anstöße zum Nachdenken und Handeln zu liefern. Dunne und Raby vergleichen das mit der alten Metapher, jemandem nicht eine Karte, sondern einen Kompass an die Hand zu geben. Denn nur mit diesem kann die Karte helfen, den richtigen Weg zu finden. +
Das Kernverständnis von Design bestünde demnach darin, uns Hilfestellung dazu zu geben, kritischer, reflektierter und bewusster über unsere aktuelle und über mögliche, alternative Welten zu denken und dies in bewusstes Handeln zu überführen. +
Paulina Wetzel +
  1. Der Gastbeitrag von Paulina Wetzel basiert auf einer im Seminar "Kritik der Gestaltung – Gestaltung der Kritik" (Leitung: Dr. Tom Bieling, Wintersemester 2020/21, HAW Hamburg) entstandenen Arbeit. []